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Teamarbeit ist so alt wie die Menschheit und so aktuell wie nie zuvor.

Allerdings hat die Team-Medaille auch zwei Seiten: Dem Kompetenzzuwachs auf der einen Seite steht die Tatsache gegenüber,  dass Gruppen und Teams oft nicht in der Lage sind, ihre Kompetenzen und Ressourcen optimal abzurufen und zu nutzen. Wer kennt das nicht: „Dicke Luft“ im Team, oder Teams, die mehr mit sich selbst, als mit ihrer Aufgabe beschäftigt sind. Dafür kann es verschiedene Gründe geben. Zuviel Harmonie ist dabei genauso tödlich, wie zu viel Selbstzufriedenheit, oder ständige Konflikte.

Das führt zur Frage: Wie lassen sich negative Entwicklungen im Team reduzieren und positive Entwicklungen initiieren?
Die Antwort ist einfach: Nehmen Sie sich Zeit, um einen regelmäßigen Blick auf die Team- und Arbeitsprozesse zu werfen.

Das erfolgreichste Format für einen derartigen Prozess stellt für mich die Retrospektive (Kurzform: Retro) dar, wie sie 2001 von Norman Kerth eingeführt wurde. Im Agilen Umfeld, speziell in SCRUM-Teams, gehören Retrospektiven zum Standard. Auch dort dienen sie der kontinuierlichen Verbesserung, werden aber im iterativen Kontext in einem Kurzformat von meist 1-2 Stunden verwendet. Im klassischen Projektmanagement, wie es Kerth betrachtete, dauert eine Retrospektive, z.B. am Ende eines Projektes, eher 2-3 Tage.

Zwischen diesen beiden Extremen können sich Retrospektiven sinnvoll bewegen, je nach Teamkonstellation und Bedarf. Auch die Intervalle können sich von regelmäßig wöchentlich bis einmalig zum Projektende bewegen. Für ein Praxis-Team im medizinischen Bereich kann das beispielsweise einen Halbtages-Workshop im vierteljährlichen Abstand bedeuten. Für ein Projektteam im industriellen Bereich die 3-stündige Retrospektive im Monatsabstand. Auch Einzel-Retrospektiven zur Krisenintervention können Sinn machen, speziell, wenn sich daraus Folgemaßnahmen zur Situationsverbesserung ableiten lassen.

Aufbau einer Retrospektive:

Unabhängig vom konkreten Format, lassen sich Retrospektiven in folgende typische Phasen gliedern:

  1. Die AUFWÄRMPHASE bereitet den Boden für den nachfolgenden Retro-Prozess. Sie kann sehr unterschiedlich gestaltet sein, je nach Teamstatus, zur Verfügung stehender Zeit und dem Ziel der Retro.
  2. Die ÜBERPRÜFUNGSPHASE dient der Überprüfung von Arbeitshypothesen aus der vorausgegangenen Retro, sollte diese stattgefunden haben. Je nach Ergebnis der Überprüfung werden Entscheidungen getroffen, die in den kontinuierlichen Verbesserungsprozess einzahlen.
  3. In der SAMMELPHASE wird eine gemeinsame Sichtweise auf die Ereignisse des zu betrachtenden Zeitraums geschaffen. Das bedeutet nicht, dass alle die gleiche Sichtweise haben müssen, nur dass die verschiedenen Sichtweisen für alle transparent werden.
  4. Die EINSICHTSPHASE wird dazu verwendet, Erkenntnisse und Hypothesen aus den Daten der vorhergehenden Phase abzuleiten.
  5. In der ENTSCHEIDUNGSPHASE werden Maßnahmen zur Überprüfung der gebildeten Hypothesen entwickelt und priorisiert. Ziel ist es, besser zu werden.
  6. Die ABSCHLUSSPHASE kann auf einer Metaebene nochmal die Retrospektive reflektiert werden. Der Fokus kann aber auch auf ganz konkrete, z.B. teamfördernde Themen gelegt werden.

Die Haltung:

Ein sinnvolle und wichtige Grundhaltung für jede Retrospektive wurde bereits von Norman Kerth entwickelt: Die Prime Directive. Diese formuliert die gemeinsame Annahme, dass ganz gleich, was in der Vergangenheit geschehen ist, alle davon ausgehen, dass dies in jedem Fall in bester Absicht geschehen ist. Es gibt also keinen Anlass nach einem Fehlverhalten, oder einem Schuldigen zu suchen. Das ist gleichzeitig die wichtige Grundlage für eine positive Fehler- und Lernkultur!

Anwendung:

Retrospektiven sind anspruchsvoll! Deshalb versteht es sich von selbst, dass dieses Format eine erfahrene und professionelle Moderation benötigt. Und natürlich können gerade auf der Ebene des Teamprozesses Coachingkompetenzen, oder Mediationskompetenzen erforderlich werden. In SCRUM-Prozessen gibt es dafür die Rolle des SCRUM Masters, in anderen Prozessumgebungen die eines Teamcoaches oder Facilitators.

Regelmäßige Retrospektiven sind für mich einer der stärksten Hebel, um Teams und damit die Organisation selbst voran zu bringen. Es ist wie das „Sägeschärfen“ in der bekannten Metapher von den Waldarbeitern, die ihr Arbeitspensum weit verfehlt haben. Sie hatten sich keine Zeit zum Schärfen ihrer Sägen genommen .

Und nicht von ungefähr ist das häufigste Argument für abgesagte Retrospektiven: „Wir haben keine Zeit dafür!“ – Wieder eine vertane Chance mehr.

Wenn Sie aber stattdessen ihr Team voranbringen wollen – ich unterstütze Sie gerne! Egal ob als Trainer, Moderator oder Coach.

Team-Retrospektive