Vor einem Jahr:
Vor einem Jahr hatte ich ein Vorgespräch mit Vater und Sohn eines mittelständischen Schuhgeschäftes. Es ging um die Unternehmensnachfolge. Der Vater hatte erfolgreich ein lokales Ladengeschäft aufgebaut. Der Sohn hatte, mit finanzieller Unterstützung des Vaters, einen Onlinehandel mit Schuhen aufgezogen. Nun ging es um die Frage, in welcher Form sie die Nachfolge des Einzelhandelsgeschäftes gestalten können.
Leider konnten sich beide nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen. Ein Beratungsbedarf wurde nur im steuerlichen Bereich gesehen. Der Focus des Vaters lag ausschließlich auf dem Finanziellen.
Stand heute:
Nach einem Jahr haben sich Vater und Sohn immer tiefer in ihren Konflikt verstrickt. Der Vater hat einen konkurrierenden Online-Shop aufgebaut, der Sohn ein konkurrierendes Ladengeschäft. Beide versuchen sich preislich auszustechen. Beiden geht es inzwischen fast nur noch darum, den anderen zu schädigen. Das Ende der Konfliktspirale wird erst dann erreicht sein, wenn Vater oder Sohn, oder beide, wirtschaftlich ruiniert sind. In diesem Stadium eines Konfliktes ist meist auch keine externe Hilfe mehr möglich.
Das Konflikteskalationsmodell von Friedrich Glasl:
1. Verhärtung – Standpunkte werden unnachgiebiger vertreten
2. Polarisierung – gegenseitige Abwertung
3. Taten statt Worte – vollendete Tatsachen werden geschaffen
4. Verbündete werden gesucht – einander in negative Rollen manövrieren
5. Gesichtsverlust – Vorwurf kriminellen oder unmoralischen Verhaltens
6. Drohstrategien – Drohung und Gegendrohung, Erpressung
7. Begrenzte Vernichtungsschläge – „Wer nicht für mich ist, ist gegen mich!“
8. Zersplitterung – Blockieren und Auflösen des feindlichen Systems
9. Gemeinsam in den Abgrund – Vernichtung des Gegners zum Preis der Selbstvernichtung
Vor einem Jahr befanden sich Vater und Sohn noch auf den Stufen 4-6. Ein Mediationsprozess hätte gute Chancen auf einen Erfolg gehabt. Heute ist vermutlich bereits Stufe 9 erreicht, auf der es nur noch Verlierer gibt.
Auf allen Stufen kommt es zu einer Reduzierung der Kommunikation. Der Andere wird meist als dumm, krank, oder krimminell eingeordnet. Es entsteht eine Art „Tunnelblick“, was den Konfliktgegner angeht. Konfliktreduzierende Dinge werden immer weniger wahrgenommen.
Auf den Stufen 1-3 können die Beteiligten den Konflikt eventuell noch selbst auflösen. Auf den Stufen 4-6 ist das meist nur noch mit externer, professioneller Hilfe möglich.